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Was wir gewinnen, wenn wir uns mit unseren Kindern als Team betrachten

  • Autorenbild: Miriam Klinkenberg
    Miriam Klinkenberg
  • 26. Juni 2023
  • 4 Min. Lesezeit

In vielen verbreiteten Elternratgebern sowie in breiten Teilen der Gesellschaft ist die Auffassung sehr präsent, dass es bei der Erziehung von Kindern darum geht, wer "das Sagen" hat. Wenn Eltern ihren Job gut machen, dann soll das daran zu erkennen sein, dass die Kinder gehorchen, leise sind, sich angepasst verhalten, niemandem im Weg stehen und ohne Murren mitmachen, was von ihnen erwartet wird (anziehen, in die Kita gehen, Zähne putzen, sich wickeln lassen, schlafen gehen...). Als wären sie keine Menschen mit eigenen Bedürfnissen und Meinungen. Wenn Eltern, denen z.B. ein bedürfnisorientierter Umgang mit ihren Kindern wichtig ist, mit ihren Kindern in den oben genannten Situationen in Diskussionen gehen, auf der Suche nach Lösungen, mit denen alle Beteiligten einverstanden sind, werden sie häufig mehr oder weniger offen belächelt oder verurteilt. So würden die Kinder verweichlicht, sie müssten erfahren, wer den Ton angibt und überhaupt werden sie doch so zu Tyrannen, die denken, dass immer alles so läuft, wie sie das wollen.

Dem möchte ich etwas entgegen setzen.

Denn vielleicht ist es für niemanden wirklich sinnvoll, sich ständig in der Frage von Machtverhältnissen zu verlieren. Natürlicherweise haben Eltern durch ihre Erfahrungen, ihr Wissen, ihre körperliche Überlegenheit eine Machtposition inne. Wenn wir immer und immer wieder das Bild reproduzieren, dass Kinder diese in Frage stellen, angreifen und selbst an sich reißen wollen, indem sie rebellieren und nicht tun, was von ihnen erwartet wird, verlieren wir zwei wichtige Aspekte aus den Augen:

  1. Unsere elterliche Macht kommt mit der großen Verantwortung, diese nicht zu missbrauchen. Unsere Kinder sind auf uns angewiesen, ihr Leben ist von unserer Fürsorge abhängig. Und Fürsorge bedeutet nicht nur, dass die Windel gewechselt und die Zähne geputzt sind, sondern auch, dass unsere Kinder emotionale Sicherheit erfahren.

  2. Kinder handeln nicht gegen ihre Eltern, sondern für sich. Oft sind für uns aus der Erwachsenensicht die Motive nicht nachvollziehbar. Denn wenn wir morgens zur Arbeit müssen, das Kind zur Kita, wie kann es in dem Moment so viel wichtiger sein, das Puzzle noch ein drittes Mal neu anzufangen? Kinder tun dies nicht, um uns zu ärgern, um ihren Kopf durchzusetzen oder zu zeigen, dass sich alle nach ihnen richten sollen. Vielmehr sind hier gerade einfach andere Prioritäten wichtig. Das Puzzle macht gerade so viel Spaß und Zeit ist ein für Kinder kaum nachvollziehbares Konstrukt von Erwachsenen, somit auch Pünktlichkeit.

Aber was gewinnen wir nun, wenn wir der Vorstellung, dass im Familienleben ständig darum gekämpft wird, wer wen "in der Hand" hat, den Rücken kehren und uns stattdessen dazu entscheiden, im gleichen Team zu spielen wie unsere Kinder?

  1. Ein neues Gefühl von Miteinander. Wenn wir schwierigen Situationen mit der Haltung von Empathie begegnen ("okay, das ist gerade richtig schwer für dich, für mich ist etwas anderes gerade schwer zu ertragen"), fühlt sich das Kind gesehen und wir öffnen Wege für gemeinsame Lösungsfindung. Wenn wir das üben und es uns immer wieder gelingt, Kompromisse in schwierigen Situationen zu finden, gewinnen wir das Gefühl: Wir haben es gemeinsam geschafft. Das ist doch viel verbindender, als am Ende solcher Situationen nach Gewinnern oder Verlierern zu suchen.

  2. Gestärkte Kinder. Wenn unsere Kinder erfahren, dass ihre Bedürfnisse gesehen und berücksichtigt werden*, erfahren sie, dass sie Relevanz haben und werden stetig darin bestärkt, für sich selbst einzustehen. Bestimmt bedeutet das, dass sie häufiger diskutieren, was unbestritten herausfordernd sein kann. Allerdings sind es eines Tages nicht mehr die Eltern, vor denen unsere Kinder ihre Interessen vertreten, sondern Gleichaltrige, Partner:innen, Arbeitgeber:innen etc. Und da wünschen wir uns doch für unsere Kinder, dass sie nicht stumm alles machen, was man ihnen sagt, sondern hinterfragen und sich selbst nicht aus den Augen verlieren. Wenn unsere Kinder Respekt erfahren, werden sie ihn auch in der Zukunft erwarten. Und sind gleichzeitig bereit dazu, ihn anderen entgegenzubringen. *Bedürfnisse sehen und berücksichtigen heißt übrigens nicht, diese bedingungslos und jederzeit zu erfüllen. Das ist gar nicht möglich und würde wahrscheinlich auch oft bedeuten, dass wir uns selbst vernachlässigen. Daher erwarten diese Kinder dann später auch nicht, dass alles exakt nach ihren Wünschen abläuft, sie erwarten aber sehr wohl, dass ihre Stimme gehört und respektiert wird.

  3. Vertrauen und Bindung. Wenn wir beginnen, unseren Kindern die bestmöglichen Absichten zuzutrauen, uns bemühen, ihre guten Gründe zu erkennen, öffnen sich unsere Augen und Herzen. Wenn wir uns die Mühe machen, uns auf Augenhöhe mit unseren Kindern zu begeben, zu erklären und Diskussionen zuzulassen, erfahren unsere Kinder, dass sie uns vertrauen können. Dass wir uns nicht willkürlich verhalten um Macht auszuüben, sondern sie mit einbeziehen und respektieren. Das stärkt ihr Vertrauen in uns Eltern und stärkt unsere Bindung (vgl. Retz & Bongertz 2021: Wild Child).

  4. Verbindung. Wenn wir jemanden haben, der uns zur Seite steht, geht so vieles so viel leichter. Egal ob Geschwister, Eltern, Freund:innen, Partner:innen. Im Team sind wir stärker. So viel Kraft und Energie kann im Kampf gegeneinander verloren gehen. Es bleibt keine Kraft und kein Platz mehr für Empathie.

Fühlt euch eingeladen, häufiger in oder nach herausfordernden Situationen im Familienalltag zu denken: Wir schaffen das gemeinsam. Wir schaffen es durch diese starken Gefühle, wir schaffen diesen schwierigen Abschied am Montagmorgen in der Kita, wir schaffen es gemeinsam, am Abend zur Entspannung zu kommen, bis du eingeschlafen bist. Wir haben es geschafft. Zusammen. Auch wenn es sich noch oft genug anders anfühlen wird, weil wir erschöpft sind und nicht so handeln konnten, wie wir wollten. Wir haben es auch dieses Mal geschafft, nachdem ich unfair zu dir war, uns wieder zu verzeihen und in die Arme zu schließen. Wir sind ein Team.

Feiert jedes einzelne und jedes klitzekleine Mal. Und fühlt, wie gut sich das anfühlt.


 
 
 

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